Was die Berge uns lernen können, selbst wenn sie nicht sprechen. Inspiriert durch den Dialog mit Bergsteiger Robert Riesinger und Bergführerin Magdalena Habernig.
Schritt für Schritt. Atemzug um Atemzug. Augenblick für Augenblick.
Am Ende steht man oben und schaut in die Weite... merkt, wie klein man eigentlich ist, wie weit man gekommen ist und "dass es all diese Berge schon lange vor einem gegeben hat und auch noch lange nach einem geben wird" - nach Nina Sulz-Lehar, klinische Psychologin in Wien.
Bergsteigen hat seine Besonderheit: Die einen verstehen es nicht, warum man sich die Anstrengung "antut", die anderen fühlen sich frei und geerdet nach einer Bergtour.
"Losgelöstheit von Zwängen und Verpflichtungen im Tal" beschreibt es Robert Riesinger, passionierter Bergsteiger, Kletterer und Langstreckenläufer aus Oberösterreich. Auf der Suche nach dem Ursprünglichen zieht es Robert immer wieder in die Berge, oft auf seinen Hausberg den Traunstein, wenn er mal nicht gerade in der Welt umherreist. Vom Traunstein im Salzkammergut in die Cairngorms nach Schottland zu Nan Sheperd. Die schottische Schriftstellerin und Dichterin der Moderne, schreibt in ihrem Buch "Der lebende Berg": "Ich war nicht an den Bergen an sich interessiert, sondern an ihrer Wirkung auf mich" und erklärt die Zeit, die sie in den Bergen verbrachte mit "so wie man einem Freund besucht zu keinem anderen Zweck, als Zeit mit ihm zu verbringen".
Aber die Berge sprechen doch nicht? Johann Wolfgang von Goethe meinte
"Berge sind stille Meister und machen schweigsame Schüler."
und hat, auch aus meiner Erfahrung in den Bergen, diesen Satz weise formuliert. Man muss nicht immer sprechen um zu lernen. Vielmehr ist das Sein in der Umgebung schon wertvoll und um es mit Gary Snyder, US-amerikanischer Schriftsteller und Umweltaktivist, zu sagen
" [...] die Welt wahrzunehmen: mit dem eigenen Körper"
Und das Wahrnehmen fällt in der Natur gewiss leichter als in der hektischen Stadt. Für Robert Riesinger ist das am Berg-sein, ein gewisser Rückzug aus der menschenüberfüllten Hektik des "Tales". Den eigenen Rhythmus spüren, das eigene Tempo gehen und die Natur wirken lassen - auf Augen, Ohren, Nase, Haut... Die Sinne entfalten lassen. Frei sein vom Ballast des Alltags. Vielleicht geht es gar nicht nur um die Berge, wie bereits Nan Sheperd schrieb.
"Die Berge, die es zu versetzen gilt, sind in unserem Bewusstsein." Reinhold Messner
Abenteuer, die man erlebt, die einen stärken und wachsen lassen. Man wird sich selbst bewusster. Robert erzählt mir, dass er sich bei schwierigen Unternehmungen am Berg viel Selbstvertrauen für das tägliche Leben geholt hat.
Meine Fragen erreichen auch Osttirol: Magdalena Habernig. Die 38jährige charmante Bergführerin stand bereits auf hohen Gipfeln wie dem Aconcagua, dem Elbrus und in Nepal am Mera Peak. Ich fragte Magdalena: "Was bedeutet es für dich in den Bergen zu sein?" Magdalena: "Dort werden meine Gedanken frei und dort kann ich in Ruhe über alles nachdenken, was mir wichtig und weniger wichtig ist." Sie nimmt aus den Herausforderungen, denen sie als Bergführerin mit großer Verantwortung gegenübersteht, die Herangehensweise, um Ziele zu erreichen, Probleme zu lösen und auch den "wahren" Stellenwert von Problemen einzuordnen, mit ins Tal.
Aber gibt es denn überhaupt eine Verbindung vom Sein am Berg zum Sein im Leben?
"Das Sein am Berg ist ein sehr Gegenwärtiges.
Je anspruchsvoller die Tour oder die Verhältnisse, desto mehr gibt es nur das unmittelbare Hier und Jetzt." so Magdalena Habernig.
Und das Sein im Leben?
Wir Menschen suchen nach Absicherungen und wollen gerne Kontrolle haben - über uns, das Leben und hier und da über die anderen. Aber können wir das eigentlich? Ist nicht dem Sein im Leben ebenso eine Ungewissheit, wie die am Berg gegeben? Bleibt uns denn nicht auch hier im Tal 'eigentlich' nur das Hier und Jetzt?
Das alte Jahr 2020 hat wohl spürbar gezeigt, dass nichts beständig ist und alles in Veränderung ist. So wie die Natur, das Wetter und eben auch Bedingungen am Berg. Manchmal rau und windig, dann wieder sonnig und warm.
Aber all das passiert um uns.
Robert Renzler, Generalsekretär des Alpenvereins schreibt im bergundsteigen #113 Magazin
„Wenn wir tief genug nach Innen schauen, werden wir auf Abenteuer und Landschaften treffen, die weiter sind als die des Himalaya.“
Vielleicht gibt es ja noch viel mehr in uns zu entdecken, als um uns.
Und wer dazwischen einen Ausflug in die Berge macht, wird gewiss mit dem einen oder anderen Erlebnis reichlich beschenkt.
BergHerz Grüße,
Isabell
Lesetipp:
- "Der lebende Berg" von Nan Sheperd
Herzenstipp zu einer Bergtour: - Magdalena Habernig, Bergführerin
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